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Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 26. März 2019, 1 BGvR 673/17

Problem:

Das deutsche Adoptionsrecht ist im BGB in den §§ 1741 ff geregelt. Adoptionen sind nicht frei nach dem Willen der Beteiligten möglich, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen (§ 1741 Abs. 1 BGB: Förderung des Kindeswohls; zu erwartendes Eltern-Kind-Verhältnis). Dies gilt auch bei der Adoption von Volljährigen (§ 1767 Abs. 1 BGB). Zusätzlich zu diesen (wohl allgemein nachvollziehbaren) Voraussetzungen enthält § 1741 Abs. 2 BGB aber eine wichtige Einschränkung: Wer nicht verheiratet ist, kann ein Kind nur allein annehmen; nur ein Ehegatte kann ein Kind seines Ehegatten allein annehmen. Nach dem Gesetz würde die Adoption durch den Stiefelternteil dazu führen, dass die Verwandtschaft zum anderen Elternteil erlischt.

Beispiel: Wollte der nicht verheiratete Stiefvater das Kind seiner Lebensgefährtin annehmen, so würde eine Adoption dazu führen, dass das Kind mit Wirksamwerden der Adoption nicht mehr das Kind der Lebensgefährtin wäre. Das ist natürlich nicht gewollt.

Diese Hindernisse führen in der Realität zu Problemen: Obwohl Stiefelternteil und Kind möglicherweise viele Jahre zusammengelebt haben, bestünden z. B. nach einer Trennung von Stiefvater und leiblicher Mutter keine besonderen Rechtsbeziehungen zwischen Stiefvater und Kind – etwa kein gesetzliches Erbrecht und kein Pflichtteilsrecht. Im Erbschaftsteuerrecht (§ 15 ErbStG) werden Stiefkinder zwar leiblichen Kindern weitgehend gleichgestellt. Aber als „Stiefkinder“ werden dort auch nur die Kinder des anderen Ehegatten angesehen.

Entscheidung:

Das Bundesverfassungsgericht hält diesen kategorischen Ausschluss des Gesetzes für verfassungswidrig. Der allgemeine Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, sei verletzt, weil Kinder in nichtehelichen Stiefkindfamilien ungerechtfertigt benachteiligt würden.

Der Zweck des Gesetzes besteht darin, eine Stiefkindadoption nur da zuzulassen, wo die Lebensgemeinschaft Stabilität verspricht. Wenn sich ein Elternteil und ein Stiefelternteil voneinander trennen, bevor sich eine nachhaltige Beziehung zwischen Stiefelternteil und Kind hat bilden können, wäre das Kind dann in Folge der Adoption an den Stiefelternteil gebunden – auch nach Trennung. Eine Rückgängigmachung einer Adoption kommt nach dem Gesetz nur in Ausnahmesituationen in Betracht, könnte dieses Problem daher nicht lösen. Dieses Ziel des Gesetzgebers hält auch das Bundesverfassungsgericht für legitim.

Allerdings ermöglicht das Gesetz im Moment keine Prüfung des Einzelfalls. Das Stabilitätskriterium ist nach dem geltenden Recht allein die Ehe; andere Faktoren und Indikatoren werden nicht zugelassen. Stabile nichteheliche Stiefkindfamilien haben keine Möglichkeit, die Stabilität ihrer Familie im Adoptionsverfahren erfolgreich darzulegen.

Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, bis zum 31. März 2020 das Gesetz zu ändern. Adoptionsverfahren, die das Ziel verfolgt haben, eine Stiefkindadoption herbeizuführen, ohne dass das Verwandtschaftsverhältnis zum vorhandenen Elternteil erlischt, sind auszusetzen.

Praxishinweis:

Die Entscheidung hat natürlich eine sehr große Bedeutung und Wirkung. Es bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber reagieren wird. Er muss jetzt Kriterien finden, mit denen die Stabilität einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft festgestellt werden kann. Gewisse Kriterien hierfür finden sich schon in § 7 Abs. 3 Nr. 3 c) des SGB II (Festlegung einer Bedarfsgemeinschaft bei Nichtverheirateten). § 7 Abs. 3a dieses Gesetzes enthält auch Vermutungen, wann ein „wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen“, angenommen wird. Das ist aber zunächst nur eine Überlegung von mir. Ob einzelne dieser Kriterien auch vom Gesetzgeber bei der Adoption übernommen werden können, bleibt zu sehen. Es erscheint aber sehr wahrscheinlich, dass der Gesetzgeber jedenfalls eine Mindestzeit des Zusammenlebens verlangen wird, weil jedenfalls das ein Indikator für Stabilität ist. Allerdings kann es im Gesetzgebungsverfahren auch anders kommen…

Ob man jetzt entsprechende Adoptionsanträge stellen sollte oder die gesetzliche Neuregelung abwartet, ist eine Abwägungsfrage. Gewiss wird nicht jede nichteheliche Lebensgemeinschaft begünstigt werden. Aber jedenfalls dann, wenn Eile geboten ist und nach menschlichem Ermessen die Beziehung als stabil eingeschätzt wird, kann sich schnelles Handeln empfehlen.

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