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Keine analoge Anwendung des § 179a AktG mehr auf die GmbH –Einige Gedanken zur BGH-Entscheidung vom 8. Januar 2019, II ZR 364/18 und ein praktischer Ausblick
Von Notar Dr. Stefan Heinze, Köln

Aktualisierung 24. Mai 2019, Dr. Stefan Heinze:

Die besprochene Entscheidung hat, wie erwartet, große Aufmerksamkeit erlangt. Bereits jetzt sind zahlreiche Anmerkungen aus der Literatur veröffentlicht worden, etwa:

Ulrich, GmbHR 2019, 535;

Pfeiffer, BB 2019, 1107;

Bunger/Evertz, EWiR 2019, 263;

Breschendorf, GWR 2019, 145

Schulze/Schlütter-Lückel, jurisPR-HaGesR 4/2019 Anm. 1.

Überwiegend wird die Entscheidung positiv aufgenommen, wobei auch schon Zweifelsfragen thematisiert werden, etwa die Frage nach der erforderlichen Mehrheit eines Gesellschafterbeschlusses bei möglichem Missbrauch der Vertretungsmacht oder ob nicht doch im Einzelfall eine notarielle Beurkundung wegen ansonsten unzulässiger Satzungsdurchbrechung in Betracht kommt.

Stand: 9. April 2019

Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass § 179a AktG auf die GmbH nicht analog anwendbar sei. Diese Entscheidung schlägt ein wie eine Bombe. Es ist mit einer Vielzahl von Stellungnahmen hierzu zu rechnen. Die praktischen Folgen sind noch nicht völlig absehbar. An dieser Stelle soll eine erste Einschätzung erfolgen. Die Entscheidung kann abgerufen werden unter www.bundesgerichtshof.de; sie wird alsbald auch im freien Internet abrufbar sein. Soweit ich mich auf die Entscheidung beziehe, bemühe ich mich, die Randnummern, die dort angegeben sind, so genau wie möglich zu zitieren. Bei allen Beiträgen an dieser Stelle handelt es sich um fachwissenschaftlichen Beiträge. Diese geben lediglich die persönliche Meinung des Verfassers wieder. Eine rechtliche Beratung oder eine Gestaltungsempfehlung für einen bestimmten Fall enthält der Beitrag nicht. Die „Verwendung“ erfolgt auf eigenes Risiko.

1. Der zu Grunde liegende Sachverhalt und die Entscheidung der Vorinstanz

Schon die Entscheidung der Vorinstanz hatte ein gewisses Aufsehen erregt (OLG Brandenburg vom 29. März 2018, http://www.gerichtsentscheidungen.berlin-brandenburg.de, 5 U 18/16). Jenes Gericht stellte aber zu § 179a AktG einen wesentlich engeren Ansatz auf. Das OLG verneinte die analoge Anwendung dieser Norm nicht generell, sondern jedenfalls dann, wenn die Gesellschafter der GmbH die Liquidation bereits beschlossen haben (aaO, Rn. 22). Der Leitsatz des BGH ist hingegen umfassend und kategorisch. Der Gerichtshof hätte sich durchaus mit einem engeren Ansatz, wie vom OLG vertreten, begnügen können. Offenbar bestand aber das Bedürfnis, diese hoch umstrittene Rechtsfrage umfassend zu klären.

Der Sachverhalt der Entscheidung ist sicher nicht alltäglich. Die beiden Gesellschafter einer gewerblichen GmbH (Gegenstand: Handel/Herstellung/Reparatur/Montage von Türen) beschlossen die Liquidation der Gesellschaft. Sie bestellten sich beide zu Liquidatoren. Das Grundstück sollte verkauft werden. Ein Gesellschafter äußerte Interesse an einem Erwerb; ein dritter Erwerber bot offenbar mehr. Der andere Gesellschafter veräußerte das Grundstück (offenbar noch während der Verhandlungen mit seinem Mitgesellschafter) als Liquidator im Namen der GmbH an einen Erwerber. Die Gesellschaft erhob sodann Klage, gerichtet auf Löschung einer Vormerkung (dies offenbar deshalb, weil der Kaufvertrag noch in der Anfangsphase seiner Abwicklung war). Die GmbH machte geltend, dass die Vertretungsmacht des Liquidators gefehlt habe. Sie berief sich zum einen auf eine analoge Anwendbarkeit des § 179a AktG; zum anderen auf die Grundsätze vom so genannten Missbrauch der Vertretungsmacht. Das OLG wies die Klage unter beiden Gesichtspunkten ab; der BGH hielt hier einen Missbrauch der Vertretungsmacht für möglich und verwies den Rechtsstreit zurück. Beide Themen (§ 179a AktG analog; Missbrauch der Vertretungsmacht) haben erhebliche praktische Relevanz.

2. Ein paar kritische Anmerkungen zur BGH-Argumentation betreffend eine Analogie zu § 179a AktG

Mechanismus und Konfliktlage

a) Der BGH stellt zunächst die Wirkung des § 179a AktG im Recht der Aktiengesellschaft dar. Dort ist die Wirkung dieser Vorschrift direkt angeordnet. Fehlt ein Beschluss nach § 179a AktG, so fehlt es nach ganz überwiegender Auffassung an der Vertretungsmacht des Vorstandes zum Abschluss des Verpflichtungsgeschäftes; verweigert die Hauptversammlung die Zustimmung, wird das Verpflichtungsgeschäft endgültig unwirksam (BGH, aaO, Rn. 10). Sodann stellt das Gericht den Stand der Debatte im Schrifttum dar und hebt zutreffend hervor, dass das überwiegende Schrifttum die entsprechende Anwendung von § 179a AktG auch im Recht der GmbH für anwendbar hält. Dies bedeutet, dass auch im GmbH-Recht ein Gesellschafterbeschluss erforderlich ist, um dem Vertrag zu seiner Wirksamkeit zu verhelfen. Derartige Regelungen sind natürlich von erheblicher Tragweite. Denn im Recht der Kapitalgesellschaften deutschen Rechts besteht ein erhebliches Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Fähigkeit der Organe, Rechtsgeschäfte im Außenverhältnis wirksam abschließen zu können. Folglich ordnen § 37 Abs. 2 S. 1 GmbHG und § 82 Abs. 1 AktG die unbeschränkte Vertretungsmacht der Geschäftsführer/der Vorstandsmitglieder an. Freilich haben diese Normen keinen Absolutheitsanspruch. So bedürfen Verschmelzungsverträge zu ihrer Wirksamkeit ungeachtet dieser Normen gemäß § 13 Abs. 1 UmwG der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bzw. der Hauptversammlung von übernehmendem und übertragendem Rechtsträger. Und § 179a AktG ist nun einmal eine ausdrückliche Ausnahme von diesem Prinzip. Aber angesichts dessen ist es zumindest im Ausgangspunkt verständlich, dass man sich die Frage stellt, ob man eine solche Durchbrechung der unbeschränkten Vertretungsmacht im Wege einer analogen Anwendung herbeiführen will.

BGH deutet Aussagen aus II ZR 24/94 um

b) Der BGH führt zunächst entgegen dem wohl vorherrschenden Verständnis aus, er habe sich zu dieser Frage bislang nicht geäußert (Rn. 15). Gemeint ist eine Entscheidung vom 9. Januar 1995 (II ZR 24/94, abrufbar über www.jurion.de). Damals galt noch § 361 AktG, der aber inhaltlich dem heutigen § 179a AktG entsprach. In jener Entscheidung erläuterte der BGH zunächst die Funktion von § 361 AktG und führte dann aus (Rn. 7):

„Der Rechtsgedanke dieser Vorschrift, den die h.M. auf die GmbH für entsprechend anwendbar hält…, trifft auch für das Personengesellschaftsrecht zu.“

Diese Aussage ist kaum missverständlich. Sie kann eigentlich nur so verstanden werden, dass § 361 AktG analog im Personengesellschaftsrecht gelte. Zum GmbH-Recht hat sich der BGH tatsächlich nicht ausdrücklich geäußert, zumal der Sachverhalt seinerzeit auch keinen GmbH-Fall betraf. Aber das Recht der GmbH ist dem der Aktiengesellschaft strukturell doch näher als das der Personengesellschaften; ein Erst-Recht-Schluss drängte sich geradezu auf. Und der eingeschobene Relativsatz konnte für einen um Verständnis bemühten Beobachter wohl nur den Sinn haben, dass der BGH auch von einer entsprechenden Anwendung im GmbH-Recht ausging. Dementsprechend schrieb auch das damalige Mitglied des II. Zivilsenats (Goette), dass der BGH dem § 361 AktG einen allgemein für das Gesellschaftsrecht geltenden Gedanken entnehme (Goette, DStR 1995, 425, 426).

Es geschieht zwar gelegentlich, dass der BGH ex posteinfach behauptet, eine Entscheidung habe einen anderen objektiven Erklärungswert gehabt als den, den die Mehrzahl zeitgenössischer Beobachter ihm zugesprochen hat. Aber derartige Behauptungen haben natürlich kaum Autorität. Ein um Verständnis bemühter Beobachter wird sein Verständnis der Entscheidung von 1995 nicht daran ausrichten, was der BGH ihm 2019 vorschreibt, sondern vielmehr am objektiven Erklärungswert der Entscheidung. Und die Stellungnahme Goettes ist natürlich nicht die des Senates; aber es ist kaum zu verdenken, dass man nahezu einhellig die Entscheidung so interpretiert hat wie Goette es nahe legte. Daher wäre es ehrlicher gewesen, zu erklären, man halte an der Entscheidung aus dem Jahr 1995 nicht mehr fest, soweit sich daraus etwas Gegenteiliges ergibt.

Unverständlich ist auch, warum der Bundesgerichtshof diese Entscheidung nicht zum Anlass nimmt, auch im Recht der Personengesellschaft eine Klarstellung zu treffen. Vorliegend referiert er lediglich die Entscheidung aus 1995 und stellt fest, diese sei zum Recht der Personengesellschaften ergangen. Für die Praxis bedeutet dies, dass das Problem des § 179 a Aktiengesetz (analog) einschließlich der damit verbundenen Folgefragen im Bereich der Personengesellschaft noch nicht erledigt ist; siehe etwa OLG Düsseldorf NZG 2018, 297.

Kein Rückgriff auf den gescheiterten Entwurf einer GmbH-Reform aus den 1970er-Jahren

c) Der BGH stellt die Genese von § 179a AktG und seiner Vorschriften ausführlich dar und geht zurück bis zu § 303 HGB aus dem Jahr 1897 (Rn. 18-20). Er führt sodann aus, dass in dem gescheiterten Entwurf der GmbH-Reform aus dem Jahr 1973 ein § 286 GmbHGE enthalten war, der dem damaligen § 361 AktG (dem heutigen § 179a AktG) entsprach. Der BGH hätte sein Ergebnis freilich damit begründen können, dass der Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung für erforderlich hielt, diese aber nicht einführte. Dieses Argument verwirft der BGH aber (Rn. 21). Das Scheitern der Reform aus dem Jahr 1973 ist weder ein Argument für noch gegen eine mögliche Analogie des § 179a AktG im GmbH-Recht. Insoweit folgt der BGH gedanklich der Supermarkt-Entscheidung zum Konzernrecht (24.10.1988, II ZB 7/88, www.jurion.de). Dort ging es um die Frage der Konzerneingangskontrolle im GmbH-Recht, welches gesetzlich nicht geregelt war und ist. Auch dort wurde als Argument angeführt, dass eine analoge Anwendung des § 293 AktG auf die GmbH nicht in Betracht komme, weil der Gesetzgeber das erneut im Entwurf von 1973 intendierte GmbH-Konzernrecht nicht kodifizierte. Der BGH lehnte diese Argumentation ab und bejahte dort die Analogie zu § 293 AktG (Rn. 32), da der Entwurf aus anderen Gründen abgelehnt worden sei und lediglich in sehr reduzierter Form letzlich Bestandteil der GmbH-Reform von 1980 wurde.

Der Entwurf aus 1973 (BT-Drucksache VI/3088) ist weiterhin aufschlussreich und lehrreich und zeigt, was aus dem GmbH-Recht hätte werden können. Aber für juristische Argumente zur Entscheidung konkreter Rechtsfälle scheint der BGH wenig geneigt, hierauf aufbauende Argumente zuzulassen –weder zur Bejahung noch zur Verneinung von Analogien. Hier ist Vorsicht geboten.

Zentrale Argumente: Beeinträchtigung der unbeschränkten Vertretungsmacht; abweichende Interessenlage gegenüber dem Aktienrecht

d) Entscheidend für die Ablehnung der Analogie war also nicht der Umkehrschluss aus dem gescheiterten Entwurf von 1973. Stattdessen stellt der BGH zentral auf materielle Argumente ab. Diese lauten im Wesentlichen (zusammengefasst in Rn. 22)

Die Beschränkung der Vertretungsmacht im Außenverhältnis sei systemfremd und daher mit Rechtsunsicherheit und Haftungsrisiken verbunden. Nach den gesetzlichen Rahmenbedigungen können Gesellschafter einer GmbH die Geschäftsführung in deutlich wirksamerem Maß bestimmen und kontrollieren als Aktionäre. Hiermit korrespondiere eine geringere Schutzbedürftigkeit. Der Schutzzweck des § 179a AktG werde bei der GmbH in Teilbereichen auf andere Weise gewahrt. Der BGH stellt die abweichenden Ansichten dar und erläutert im Einzelnen, warum er ihnen nicht folgen mag. Das Argument fehlender Rechtssicherheit und Heilungsmöglichkeit, wenn unerkannterweise gegen § 179a AktG verstoßen werde (Rn. 26) ist sicherlich gewichtig. Aber in der Praxis gehört es zwischenzeitlich zum guten Ton, die Voraussetzungen des § 179a AktG zu überprüfen und erforderlichenfalls auf die Notwendigkeit eines entsprechenden Beschlusses hinzuweisen.

Man kann die Abwägungsentscheidung des BGH gegen eine Analogie loben oder kritisieren. Die Entscheidung hat er nunmehr aber getroffen und sie ist für die Praxis verbindlich. Eine Stärkung der Rechtssicherheit ist aber, entgegen der Annahme des Bundesgerichtshofes, damit nicht verbunden.

3. Steine statt Brot: Missbrauch der Vertretungsmacht als Schutzinstrument?

§ 179a AktGwar handhabbar

a) Mag mit einer analogen Anwendbarkeit des § 179 a Aktiengesetz und der damit verbundenen Beschränkung der Vertretungsmacht Rechtsunsicherheit verbunden gewesen sein, so hat der Bundesgerichtshof doch insoweit selbst eine recht gut zu handhabende Grenze festgelegt, und zwar in der berühmten Holzmüller-Entscheidung (BGH, 25.02.1982, II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, abrufbar über www.jurion.de). Nach dieser Entscheidung scheidet § 361 Aktiengesetz (heute: § 179a AktG) Haus, wenn die Gesellschaft mit dem zurückbehaltenen Betriebsvermögen noch ausreichend in der Lage bleibt, ihrer in der Satzung festgelegten Unternehmensziele weiterhin, wenn auch in eingeschränktem Umfang, selbst zu verfolgen (BGH aaO, Rn. 17). In der Holzmüller-Entscheidung war diese Voraussetzung nach Auffassung des Bundesgerichtshofes gegeben, weil ein zurückbehaltener Unternehmensbereich (Holzgeschäft) für eine weitere eigene Unternehmenstätigkeit geeignet war und insbesondere dafür auch bestimmt war(BGH aaO, Rn. 18). In der Literatur wurde auch vorgeschlagen, quantitative Abgrenzungskriterien zu verwenden, etwa in Anlehnung an § 1365 BGB (vgl. Weber, DNotZ 2018, 96, 105/106 mwN). All dies ist nicht in jeder Hinsicht trennscharf. Aber es bestand jedenfalls ganz überwiegend Einigkeit, dass bei einer Veräußerung von Einzelgegenständen (nur diese bereitet überhaupt Schwierigkeiten) unterhalb einer bestimmten Schwelle § 179 a Aktiengesetz jedenfalls definitiv nicht verwirklicht war (90 %, jedenfalls 85 %; vergleiche Weber, DNotZ 2018, 96,106).Mit anderen Worten: man konnte möglicherweise nicht genau sagen, in welchen Fällen § 179 a Aktiengesetz bei der Veräußerung von Einzelgegenständen verwirklicht war. Recht genau einschätzen konnte man allerdings, ab welcher Schwelle dies eindeutig nicht mehr der Fall war.

Missbrauch der Vertretungsmacht: Offene Flanke

b) Der Bundesgerichtshof sieht den Ausweg nunmehr in dem Rechtsinstitut des Missbrauchs der Vertretungsmacht, einem zum allgemeinen Teil des bürgerlichen Rechts begründeten Instituts. Die Fälle, in denen Vertreter und Vertragspartner kollusiv zum Schaden des Vertretenen zusammenwirken, sind für die Praxis weniger interessant; jedenfalls geht es dann nicht um das Vertrauen des Rechtsverkehrs in die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers, weil solches Vertrauen fehlt.

Aber ein Missbrauch der Vertretungsmacht mit Auswirkung im Außenverhältnis kann auch schon unterhalb dieser Schwelle bestehen. Auch ohne positive Kenntnis kann ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegen, wenn der Geschäftsführer seine Bindungen aus dem Innenverhältnis überschreitet und dies nach den Umständen für den Vertragspartner evident ist (BGH NJW 2006, 2776; Zöllner/Noack in: Baumbach/Hueck, 21. Auflage 2017, GmbHG § 37 Rn. 47 mwN). Dies ist im Prinzip nichts Neues. Aber bei der Annahme eines Missbrauchs der Vertretungsmacht wurde bislang große Zurückhaltung geübt. Denn die vom Bundesgerichtshof auch hier betonten Grundentscheidungen des Gesetzgebers (unbeschränkte Vertretungsmacht im Außenverhältnis, § 37 Abs. 2 S. 1 GmbHG, § 82 Abs. 1 AktG, § 126 Abs. 2 HGB; § 27 Abs. 2 S. 1 GenG) müssen auch einer übermäßigen Annahme der hiernach geforderten Evidenz Einhalt gebieten. Insbesondere bestehen regelmäßig keine Erkundigungspflichten (Palandt/Ellenberger, 78. Auflage 2019, BGB § 164 Rn. 14 mwN; Stephan/Tieves in: MünchKommGmbHG, 3. Auflage 2019, GmbHG § 37 Rn. 172-178 mwN). So wurde bislang zu Recht vertreten, dass das Rechtsinstitut des Missbrauchs der Vertretungsmacht in diesen Bereichen des Gesellschaftsrechts bei nicht positiver Kenntnis des Vertragspartners kritisch ist. Der Vertragspartner wurde nicht für verpflichtet gehalten, von sich aus Nachforschungen zu den internen Verhältnissen der Gesellschaft anzustellen. Dies gilt auch, wenn der Gesellschaftsvertrag etwaige Vorbehalte bezüglich einer Geschäftsführer Zustimmung enthält, weil derartige Zustimmungsvorbehalte oft erhebliche Interpretationsspielräume enthalten (Stephan/Tieves, aaO, GmbHG § 37 Rn. 182, 183). Das ist uneingeschränkt richtig.

c) Der Bundesgerichtshof weicht hiervon potenziell in der besprochenen Entscheidung ab. Zunächst bleibt er im bisherigen Rahmen, soweit er ausführt, dass sich die Überschreitung des Innenverhältnisses dem Vertragspartner nach den Umständen aufdrängen muss (Rn. 41). Die dann folgenden Ausführungen sind aber neu und wichtig: Eine solches „Sich-Aufdrängen“ sei häufig anzunehmen, wenn das gesamte Unternehmen als solches übertragen werden soll. Einem verständigen Vertragspartner müsse klar sein, dass der Geschäftsführer die GmbH nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter Unternehmens los stellen könne. Aber auch wenn, wie vorliegend, mit einer Immobilie nur ein einzelner Vermögensgegenstand übertragen werden soll, könne es sich nach den Umständen des Einzelfalls aufdrängen, dass der Geschäftsführer das Geschäft wegen seiner Bedeutung für die Gesellschaft nicht ohne Rückversicherung bei den Gesellschaftern vornehmen kann. In Rn. 42 konkretisiert der Bundesgerichtshof dies noch einmal: Bestehe ein Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Gesellschafterversammlung, sei es zusätzlich erforderlich, dass der Vertragspartner von der fehlenden Zustimmung kenntnis habe oder sich ihm das Fehlen eines Zustimmungsbeschlusses aufdrängen, um dem Vertrauen auf den Bestand des Geschäfts den Schutz zu versagen. In diesem Zusammenhang könne es aber nach den Umständen des Einzelfalls nicht stets ausreichen, wenn dieser sich damit verteidige, er habe von der fehlenden Zustimmung nichts gewusst. Werde etwa das Unternehmens als Ganzes veräußert, könne den Vertragspartner der Gesellschaft eine Erkundigungsobliegenheit treffen. Bei der Veräußerung eines Einzelgegenstandes könne sich der Missbrauch aufdrängen, wenn der Vertragspartner erfahre, dass ein maßgebender Gesellschafter mit dem Geschäft nicht einverstanden sei.

d) Diese Ausführungen sind tendenziell problematisch. Es fragt sich zunächst, wann von einer Veräußerung des Unternehmens als Ganzem auszugehen ist. Dies könnte etwa der Fall sein, wenn tatsächlich eine Veräußerung des Unternehmens in Bausch und Bogen geschieht, welcher auch zur Eröffnung des Anwendungsbereichs § 311 b Abs. 3BGB führen würde. Denkbar ist aber auch, dass es sich bei der Veräußerung von Gruppen von Einzelgegenständen faktisch um den Bestand des Unternehmens im Ganzen handelt. In solchen Fällen verneint die Rechtsprechung die Anwendbarkeit des § 311 b Abs. 3 BGB, wenn der Gegenstand praktisch das gesamte Vermögen ausmacht (OLG Düsseldorf, 23.11.2017, I-6 U 225/16, BeckRS 2017, 133913, Rn. 54 unter Verweis auf BGH 30.10.1990, IX ZR 9/90, Rn. 36 und auf BGHZ 25, 4). Unklar ist also, wann eine Veräußerung des Unternehmens als Ganzem vorliegt; will der Bundesgerichtshof die Erkundigung und dann bejahen, wenn die Schwelle des § 179 a Aktiengesetz (dessen hypothetische Anwendbarkeit unterstellt) überschritten wird, oder nur dann, wenn die Anforderungen des § 311 b Abs. 3 BGB eingehalten werden? Vermutlich meint der BGH dies als Ersatz für die Anwendung des § 179a AktG, ohne es zu sagen. Aber die von ihm betonte Unsicherheit, die die analoge Anwendbarkeit des § 179a AktG vermeintlich verursacht, wird dann über ein wesentlich ungenaueres Vehikel transportiert. Der BGH vermeidet leider die Bildung entsprechender Konturen.

Die bisherige Debatte wird damit in neuem Gewand unter dem Gesichtspunkt geführt werden, was genau „Veräußerung des Unternehmens als Ganzem“ gemäß Rn. 42 bedeutet. Die weitere Frage ist, ob das Kriterium der Evidenz auch bei der vorgelagerten Frage zu stellen, ist, wann es sich dem Erwerber aufdrängen muss, dass eine Veräußerung als Ganzes vorliegt. § 179a AktG stellt auf subjektive Momente auf Seiten des Erwerbers nicht ab. Wenn feststeht, dass das Unternehmen als Ganzes veräußert wird, will der BGH die Erkundigungsobliegenheit offenbar bejahen, ohne sich auch insoweit für alle Fälle festzulegen. Aber muss der Erwerber vorgelagert wissen, dass das Unternehmen als Ganzes verkauft wird oder muss sich auch dieser Umstand dem Erwerber aufdrängen? Völlig im Unklaren bleibt auch, mit welcher Mehrheit ein derart maßgeblicher Gesellschafterbeschluss gefasst werden müsste. § 179 a Aktiengesetz enthält insoweit klare Vorgaben; der Bundesgerichtshof lässt den Rechtsverkehr im Ungewissen, zumal es auf die Existenz eines Zustimmungsvorbehaltes im Gesellschaftsvertrag gar nicht ankommt; in dem Tatbestand der Entscheidungen wird auch die Existenz eines solchen Katalogs gar nicht erst erörtert.

e) Noch problematischer ist der letzte Satz der BGH-Entscheidung: Bei Veräußerung eines Einzelgegenstandes könne sich der Missbrauch aufdrängen, wenn der Vertragspartner erfahre, dass ein maßgebender Gesellschafter mit dem Geschäft nicht einverstanden sei. Diese Erwägung war im vorliegenden Fall maßgeblich. Obwohl der Liquidator das Grundstück veräußert hat (die Veräußerung von Gesellschaftsvermögen ist ja im Fall der Liquidation typisch), hält der Bundesgerichtshof einen Missbrauch der Vertretungsmacht für möglich, wenn es sich dem Erwerber aufdrängen musste, dass der Liquidator den Widerspruch seines Mitgesellschafters missachtet habe. Der Begriff des „maßgebenden“ Gesellschafters ist nicht definiert, weder vom Bundesgerichtshof noch in der Rechtsordnung. Die Frage, ab welcher Beteiligungsquote ein Gesellschafter denn maßgebend ist, ist offen. Minderheitsgesellschafter könnten versucht sein, den Rechtsverkehr zu blockieren, indem sie an prospektiven Vertragspartner der Gesellschaft ihren Widerspruch zu den Geschäften erklären, die vom Geschäftsführer vorgenommen werden, und erklären, sie seien maßgebende Gesellschafter. Manche Minderheitsgesellschafter könnten durch ein solches Verhalten möglicherweise Erpressungspotenzial entdecken.

Welche Mehrheit soll maßgeblich sein? Das Gesetz geht grundsätzlich von der einfachen Mehrheit aus und ordnet nur in besonderen Fällen eine qualifizierte Mehrheit an (zum Beispiel § 53 GmbH-Gesetz und § 60 GmbH-Gesetz).Man könnte vermuten, dass dann, wenn ein Auflösungsbeschluss gefasst worden ist (Liquidation), es jedenfalls nicht auf eine qualifizierte Mehrheit nach § 60 GmbHG ankommen kann. Denn die Grundentscheidung zur Versilberung des Gesellschaftsvermögens wurde mit dem Auflösungsbeschluss getroffen. Dann könnte man erwägen, dass eine einfache Mehrheit genügt. Aber auch hier fehlt es an klaren Vorgaben, welche durch § 179a AktG jedenfalls bzgl. der nötigen Mehrheitserfordernisse vorhanden waren.

f) Der Bundesgerichtshof schränkt jedenfalls sprachlich ausdrücklich Rn. 42 am Ende nicht in der Weise ein, dass es sich bei dem einzelnen Vertragsgegenstand um das im wesentlichen gesamte Gesellschaftsvermögen handeln muss, wobei die quantitativen und qualitativen Kriterien zu § 179a Aktiengesetz heranzuziehen wären. Es bleibt zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof dies so gemeint hat und nicht jeden beliebigen Gegenstand als erfasst sieht. Hierfür spricht, dass der BGH in Rn. 47 auf „besonders bedeutsame“ Geschäfte abstellt. Sind dies womöglich (über § 179a AktG hinaus gehend) all diejenigen Geschäfte, bei denen in der Aktiengesellschaft die Holzmüller-Grundsätze anwendbar sind? Dies wären dann Maßnahmen, die durch die Vertretungsmacht des Vorstandes noch gedeckt sind, gleichwohl aber so tief in die Mitgliedsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreifen, dass der Vorstand vernünftigerweise nicht annehmen kann, er dürfe sie in ausschließlich eigener Verantwortung treffen, ohne die Hauptversammlung zu beteiligen (BGH 25.02.1982, II ZR 174/80, Rn. 22). Kann es im GmbH-Recht dazu kommen, dass bei besonders bedeutsamen Geschäften (was möglicherweise auch Holzmüller-Geschäfte erfasst) eine Erkundigungspflicht besteht und Evidenz in Betracht kommt?

All diese Fragen wirft die neue Entscheidung auf, ohne befriedigende Lösungen zu bieten. Für die Praxis ist das Problem, wann bei einem Asset Deal ein zustimmender Gesellschafterbeschluss einzuholen ist und ggf. mit welcher Mehrheit, nicht befriedigend gelöst; unklar ist auch, in welcher Weise zwischen Gesamtvermögensgeschäften/Veräußerung von Einzelgegenständen zu differenzieren ist, ferner ob zwischen werbenden und sich in Liquidation befindlichen Gesellschaften differenziert werden muss. Unklar bleibt schließlich auch die Rechtslage im Personengesellschaftsrecht (hier wird man von der Fortgeltung der Entscheidung II ZR 24/94 ausgehen müssen), im Vereinsrecht (dort kann der Umfang der Vertretungsmacht durch die Satzung freilich beschränkt werden, § 26 Abs. 1 S. 3 BGB) und im Genossenschaftsrecht. Es bleibt ferner zu hoffen, dass der BGH nicht auch im Aktienrecht noch eine weitere Fallgruppe zwischen dem unmittelbar anzuwendenden § 179a AktG und den Holzmüller-Fällen, die bislang keine Auswirkungen auf das Außenverhältnis hatten, bildet.

4. Zusammenfassung/Praktische Auswirkungen

Die Entscheidung des BGH schafft zum einen Rechtsklarheit: § 179a AktG ist auf die GmbH nicht analog anwendbar. Der Preis, mit dem dies erkauft wird, ist mE aber zu hoch. Zum einen ist weiterhin von der analogen Anwendung des §179a AktG bei Personengesellschaften auszugehen, was unverständlich ist, weil diese der AG wesentlich weniger ähneln als die GmbH. Hier wird die Praxis aber davon auszugehen haben, dass die BGH-Entscheidung keine Änderung herbeigeführt hat. Zum anderen bestehen im Bereich rechtsfähiger Vereine und bei Genossenschaften die Zweifel fort.

Das alternative Lösungskonzept kann nicht überzeugen. Der Missbrauch der Vertretungsmacht als Rechtsinstitut sollte sehr restriktiv gehandhabt werden, insbesondere soweit es in Ermangelung positiver Kenntnis des Vertragspartners um die „Evidenz“ geht. Es bleibt offen, wann was evident ist (Veräußerung des gesamten Unternehmens; Veräußerung besonders bedeutsamer Einzelgegenstände; Fehlen eines Zustimmungsbeschlusses mit welcher Mehrheit; evtl. Differenzierung zwischen werbender und aufgelöster Gesellschaft). In der Transaktionspraxis werden Forderungen nach Zustimmungsbeschlüssen eher häufiger auftreten als unter der angenommenen Geltung des § 179a AktG. Jedenfalls immer dann, wenn der Tatbestand des §179a AktG (analog) nach den bisherigen Grundsätzen hätte bejaht werden können, wird man vorsorglich als Geschäftspartner darauf bestehen, dass ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung vor Beurkundung gefasst werde, und zwar sicherheitshalber weiterhin mindestens mit einer Mehrheit von 75 Prozent des Stammkapitals. Der Gesellschaftsvertrag der Veräußerin sollte konsultiert werden, um diesen auf eventuelle besondere Zustimmungsvorbehalte zu überprüfen. Unklar bleibt nach der neuen Entscheidung bedauerlicherweise, ob auch unterhalb dieser Schwelle entsprechende Maßnahmen zu treffen sind(ist ein einzelner Vermögensgegenstand etwa schon dann besonders bedeutsam, wenn es sich steuerlich um eine wesentliche Betriebsgrundlage handelt?).

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